3. Geschichte - Der Narzisst

Fall 3 – Der Narzisst

 

Harald ist 33 Jahre alt. Seine Eltern sind beide Akademiker. Ihr Wunsch war, dass auch Harald eines Tages studiert und erfolgreich sein wird. Demensprechend wurde bereits seine Kindheit darauf ausgerichtet. Während andere Kinder in ihrer Freizeit viel Spaß hatten, wurde Harald auf seine „Karriere“ vorbereitet. Das Ziel der Eltern war, dass er der beste Schüler ist, im Vergleich zu anderen Kindern. Es ist nicht falsch zu sagen, dass Harald „gedrillt“ wurde.

 

Beide Eltern waren beruflich sehr erfolgreich, verdienten sehr viel Geld und konnten sich auch ein Vermögen aufbauen. Gegenüber anderen Menschen agierten sie dementsprechend, teils abgehoben und arrogant. Sie hatten keine wirklichen Freunde. Die kleine Gruppe von Personen, mit denen sie sich trafen, war Geschäftsfreunde oder solche Leute, die sich von Haralds Eltern ein Vorteil erhofften.

 

Auch Harald hat keine Freunde, wie auch, entweder musste er lernen, oder seine Eltern bereiteten ihn auf seine von ihnen erwartete Karriere vor.

 

Während seiner Gymnasialzeit wurde er von seinen MitschülerInnen nicht respektiert, meistens ließen sie ihn links liegen. Er war als Schüler gut, schließlich erwarteten genau das seine Eltern. Jede Klassenarbeit, jeder Test wurde von seinen Eltern kontrolliert und auch kommentiert. Für sie war eine eindeutige Vorgabe an Harald, alle Klassenarbeiten oder Tests mussten mindestens mit der Note „gut“ bewertet sein.

 

Da seine Eltern dem Jungen bereits vorlebten, dass andere Menschen nicht den gleichen hohen Stellenwert haben, wie sie selbst, hat Harald diese Einstellung übernommen.

Wie sollte es auch anders sein, schließlich waren die Eltern seine Vorbilder, andere hat er nicht kennengelernt. Der Kontakt zu beiden Großeltern, sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits wurden abgebrochen.

 

Harald hat auch nie erlebt, dass seine Eltern kritisiert wurden oder ihre Meinung von anderen in Frage gestellt wurden. Das lag daran, dass seine Eltern genau darauf achteten, dass sie mit solchen Menschen den Kontakt hielten, die sie bewunderten und niemals kritisierten. Sobald mal Kritik von anderen geäußert wurde, erfolgte der Kontaktabbruch.

 

Haralds Leben verlief während der Schulzeit nicht kindgemäß, er wurde von anderen Kindern missachtet, als Sonderling angesehen und hatte keine Kontakte.

 

Harald hatte nur Kontakte zu den Kindern, mit deren Eltern eine familiäre „Freundschaft“ bestand. Es waren insgesamt 6 Kinder, die Treffen waren eher unregelmäßig.

 

Mit 19 Jahre legte Harald seine Abiturprüfung ab mit der Note 1 ab.

 

Seine Eltern zeigten keine Freude, sondern erklärten Harald, dass sie genau das von ihm erwartet haben.

 

Wirkliche Liebe hat Harald nie erfahren. Manchmal Lob, aber eher sehr wenig.

 

Insbesondere seine Mutter zeigte sehr offensichtlich narzisstisches Verhalten. Sie fühlte sich in jeder Hinsicht anderen Menschen überlegen, wertete andere ständig ab, kritisierte und fand immer ein „Haar in der Suppe“. Haralds Vater, war von seiner Frau abhängig, da sie sehr viel Geld geerbt hatte. Seine Frau hatte das „Heft in der Hand“, der Vater war „Befehlsempfänger“ und übernahm über Verlaufe der Jahre viele Eigenarten seiner Frau.

 

Nun zurück zu Harald.

 

Schon währen der Studienzeit zeigten sich bei Harald auch Wesenszüge, die er von seiner Mutter übernommen hat.

 

Ständig wertete er andere Kommilitonen ab, kritisierte sie, wusste alles besser. Nur gegenüber den Professorinnen/Professoren war er zurückhaltender. Er war als Student sehr bald bekannt für sein negatives Verhalten anderen gegenüber und wurde ausgegrenzt.

 

Harald empfand sich als der „Größte“ und „Beste“, nach seiner Auffassung konnte ihm niemand sonst „das Wasser reichen“.

 

Im Verlaufe der Studienzeit war Harald, wie in der Schule, ein Einzelgänger. Das kannte er ja schon, also hat sich sein Leben nicht verändert.

 

In perfektionistischem Wahn verfolgt er nur ein Ziel, er wollte beweisen, dass er besser ist als alle anderen und niemand mit ihm konkurrieren kann. Er lernte und lernte, er wollte es anderen zeigen.

 

Als er seine Diplomarbeit abschloss, alle Prüfungen abgelegt hat, erfuhr Harald, dass er nicht als „Bester“, sondern nur als Dritt-Bester des Jahrgangs die Prüfung mit einer Gesamtnote von „gut“ abschloss.

 

Für Harald brach eine Welt zusammen, seine Eltern waren fassungslos. In Harald entwickelte sich eine Wut und ein Hass. Er fasste sogar innerlich den Entschluss, dass die beiden anderen das büßen müssen. Sein Plan stand fest.

 

 

Die beiden anderen waren nette und beliebte Studenten, sie mochte jeder. Mit Harald kamen sie nicht zurecht. Sie haben ihre Studienzeit genossen. Ihre Studienzeit war keine „Folter“ wie bei Harald, sondern eine „Spaß-Zeit“ und mit einem sehr guten Abschluss. Das „wurmte“ Harald richtig.

 

Einen Tag nach Bekanntgabe der Abschlussnoten mache sich Harald auf den Weg, bewaffnet mit entsprechendem Werkzeug, sein Ziel war deren Autos zu beschädigen. Er entfernte sich unerkannt aus dem Elternhaus.

 

Er wusste, dass die beiden anderen Mit-Studenten als Belohnung für ihren guten Abschluss eine „nagelneues“ Auto als Geschenk bekamen. Und sie haben sich ganz offen darüber erfreut gezeigt. Harald bekam von seinen Eltern weder Freude noch Liebe gezeigt, auch kein Auto, sondern nur Vorwürfe.

 

Die beste Gelegenheit für Harald war eine Abschiedsparty. Beide Autos wurde auf einem Parkplatz abgestellt, der nicht einsehbar war. Das war seine Chance.

 

Als er die beiden Autos sah, kam sofort die Wut und der Hass hoch. Er zögerte. Schließlich überkam ihn doch Angst und er fuhr nach Hause, ohne einen Schaden anzurichten.

 

 

Nachdem Harald sich bei verschiedenen Unternehmen beworben hatte und er die Personalleitung eines Unternehmens überzeugen konnte, bekam er einen gut dotierten Job.

 

Harald hat sich vorgenommen, sein Verhalten zu ändern und seinen Job gut zu machen, schließlich ist eine Karriere sein Ziel.

 

 

In seiner Selbstüberschätzung verbunden mit Größenwahn sah er sich schon eines Tages als „Vorstandsvorsitzender“ des Unternehmens auf dem Chefsessel sitzen und seine Mitarbeiter „tanzen nach seiner Pfeife“. Aber, so dachte Harald, er macht zunächst eine gute Miene zum bösen Spiel, er werde es schon allen zeigen.

 

Die ersten Arbeitstage verliefen ruhig, Harald nahm sich zurück, er hatte sich unter Kontrolle. Auch mit den Kollegen kam er zurecht.

Harald lernt rasch dazu, er verstand die Arbeitsprozesse gut, die Kollegen lobten ihn. Alles war rund.

 

Im Laufe der Zeit überkam Harald wieder das Gefühl, dass er sich anderen gegenüber doch besser und wichtiger sei, schließlich habe das Ziel „Chef“ zu werden.

 

Je mehr Arbeitsgebiete er kennenlernen musste, desto kritisierten ihn die Kollegen schon mal. Und das schmeckt ihm gar nicht.

 

Haralds Verhalten veränderte sich zusehends. Er sah sein Ziel gefährdet, aufgrund der zunehmenden Kritik.

 

Er wollte jetzt endgültig das Heft in seine Hände nehmen.

 

Seine Gedanken veränderten sich in Fantasien des Größenwahns, in Machtdenken und sein persönliches Erfolgsdenken.

 

Er wurde gegenüber den Kollegen zunehmend arroganter und zeigt eine deutliche Überheblichkeit. Zudem missgönnte er allen anderen auch nur einen noch so kleinen Erfolg.

 

Ständig kritisierte er seine Kollegen, korrigierte sie und maßregelte.

 

Sein übersteigertes Selbstwertgefühl kannte keine Grenzen mehr.

 

Zudem war er weder bereit noch fähig, die Gefühle oder Empfindungen der Kollegen wahrzunehmen, sich in ihre Situation hineinzuversetzen.

 

Dann kam es wie es kommen musste. Nach vielen Beschwerden über sein Verhalten, wurde Harald zum Personalchef zitiert. In einem sehr ausführlichen Gespräch wurde ihm nahegelegt, das Unternehmen zu verlassen. Harald wurde ein Auslösungsvertrag angeboten, den er ablehnte.

 

Er versuchte seinen Kopf „aus der Schlinge zu ziehen“, indem er seine Kollegen denunzierte und ihnen die Schuld gab. Auch das hat nicht geholfen, ganz im Gegenteil.

 

Nach langem Zögern unterschrieb Harald den Auflösungsvertrag.

Er war davon überzeugt, dass er rasch einen neuen Arbeitgeber finden würde, weil er schließlich das Beste sei.

 

Jedoch wurde sein Hass immer größer, seine Wut auf andere Menschen nahm zu. Er überwarf sich mit allen Menschen, auch die wenigen, die ihm zu helfen bereit waren.

 

Er lebte schließlich von seinem Arbeitslosengeld, in einem kleinen 1-Zimmer-Appartement.

 

Sein Nachbar war gleichaltrig, ein ruhiger Mensch, ausgeglichen und freundlich. Aber Harald beachtete ihn nicht.

 

Eines Tages trafen sich die beiden im Keller. Harald, der gerade einige seine wenigen Habseligkeiten deponieren wollte, fiel ein eingerahmtes Bild auf den Boden, das Glas zersplitterte.

 

Der Nachbar Tobias, eilte zur Hilfe, mit Handfeger und Schaufel bewaffnet kehrte er die Reste des Bildes auf.

 

„Hallo, ich bin Tobias“, du wohnst doch neben mir. „Ja, ich bin Harald“.

 

Sogleich wollte sich Harald wieder davon machen.

 

„Ich wohne auch erst seit 2 Monaten hier, habe eine schwere Zeit hinter mir und bin froh, dass hier so nette Menschen wohnen,“ meinte Tobias.

„Ja, ist ganz ok hier“, antwortete Harald.

 

Tobias ließ nicht locker, weil er spürte, dass Harald irgendetwas bedrückte.

 

„Sag mal Harald, hast du Lust auf einen Kaffee bei mir, dann können wir uns weiterunterhalten?“ „Können wir machen“, erwiderte Harald.

 

So begann die Bekanntschaft zwischen Harald und Tobias. Es wurde ein langer Nachmittag, und die beiden führten ein interessantes und spannendes Gespräch.

 

Tobias erzählte ihm, dass er es zuhause nicht einfach hatte. Seine Eltern haben ihn als Kind nicht gut behandelt. Deshalb sei ihm so einiges im Leben nicht ganz leichtgefallen, privat und beruflich. Inzwischen hätte er einen Job, der ihm viel Spaß mache. Er sei jetzt 35 Jahre alt, seit 3 Jahren geschieden und leider schwer erkrankt, er habe Multiple Sklerose. Aber, es ginge ihm gut.

 

„Aber wie kann es dir gut gehen, du bist krank und geschieden“, fragte Harald. „Das ist eine lange Geschichte Harald. Irgendwann habe ich erkannt, dass es keinen Sinn macht sich immer zu beklagen, dafür ist das Leben viel zu kurz. Zudem gibt es immer Menschen, denen es noch viel schlechter geht“, erklärte Tobias.

 

Harald schloss seine Augen und schaute auf den Boden, stützte seinen Kopf mit beiden Händen ab und stöhnte.

 

„Was ist los, Harald?“, fragte Tobias. „Mir geht gerade so einiges durch den Kopf zu dem, was du gerade gesagt hast. Weißt du, mein Leben war nicht so großartig, das habe ich dir ja erzählt. Wenn ich aber mal vergleiche, dann sollte es mir doch gut gehen und ich mich wohlfühlen“, antwortet Harald. „Wie hast du es geschafft, diese Lebenseinstellung zu entwickeln?“, fragte Harald.

 

Tobias erzählte ihm wie tief er seelisch gefallen ist. Er hatte Angststörungen, Depressionen, war am Boden. Sein Leben schien gelaufen zu sein. Dann kam die Diagnose noch hinzu. Der Kontakt zu seinen Eltern war abgebrochen. Er sei allein gewesen und wollte sich umbringen.

 

Dann habe er in vielen Gesprächen sehr wichtige Erkenntnisse gewonnen, wo es um die Einstellung zum Leben und das Leben insgesamt ging. Vor allem sei ihm klar geworden, wie es möglich ist, trotz Beschwernissen oder Probleme dennoch glücklich und zufrieden sein Leben genießen zu können.

 

Das hätte ihn zum Nachdenken bewegt und seine komplette Lebenseinstellung verändert.

 

Die beiden führten ein sehr langes Gespräch und Tobias fasste die für wichtigen Erkenntnisse zusammen.

 

Bedenke immer, dass du nicht der einzige Mensch auf der Welt bist, der glücklich sein möchte. Alle Menschen möchten Glück und Zufriedenheit. Es ist besser, wenn nicht nur ein Mensch aus egoistischen Gründen, das erleben darf, sondern möglichst viele Menschen. Denn, eine glückliche Gemeinschaft ist stark und füreinander da.

 

Ganz gleich was du in der Vergangenheit erleben und erleiden musstest, es ist vergangen und wird nur dann in deine Gedanken zurückkehren, wenn du es selbst zulässt. Niemand sonst kann dich dazu zwingen. Alle Gedanken, die dich bisher haben leiden lassen, musst du loslassen.

 

Wir haben niemals die Gewissheit, was wir in unserem Leben erfahren werden. Das ist auch nicht wichtig. Viel wichtiger ist, dass wir jeden Moment genießen und zudem, dass wir mit unseren Mitmenschen gut zusammenleben. Es gibt niemals irgendetwas, dass uns dazu bringen sollte, lebenslangen Groll zu hegen.

 

Da wir nur dieses eine Leben haben, sollten wir wirklich alles daransetzen, es zu leben und es uns nicht zu verderben, wegen irgendwelchen dummen Gedanken oder Lappalien, wegen Meinungsverschiedenheiten oder, weil wir vielleicht auch mal kritisiert werden.

 

Was uns widerfährt und was wir nicht ändern können, sollten wir akzeptieren, denn was nicht änderbar ist, lässt sich auch nicht mit Hass, Wut und Egoismus verändern.

 

Unsere Lebensziele sind wichtig. Es sollten positive, lebensbejahende Ziele sein, die motivieren, uns gute Gefühle machen. Und dankbar dafür sein, dass uns überhaupt diese eine Möglichkeit für dieses eine Leben gegeben wurde. Das dürfen wir nicht so einfach wegwerfen wie Müll.

 

Jederzeit können wir uns verändern. Wirklich jeder Mensch hat die Chance dazu und hat sie auch verdient. Entscheidend ist zu es zu erkennen.

 

Als Harald diese Worte hörte, wurde ihm viel klar, was in seinem Leben nicht gut gelaufen ist.

 

Harald hat nach vielen weiteren Gespräch ins gute Leben zurückgefunden. Er hat es geschafft.

 

Mittlerweile ist er glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und einen Job, der ihm Spaß macht. Karriere ist nicht sein Ziel, sondern Lebensfreude, Lebensglück und seine ehrenamtliche Tätigkeit, indem er für andere Mensch da ist und sie unterstützt.