1. Geschichte - Ausländerhass

Fall 1 - Ausländerhass

Jürgen ist heute 58 Jahre alt und sein Lebensweg war mit vielen Fallstricken ausgelegt. Mittlerweile hat er sich selbst und damit auch sein Leben positiv verändert.

 

 

Aufgewachsen ist Jürgen in einer typischen deutschen Stadt. Sein Elternhaus war geprägt von Gewaltexzessen des Vaters und einer narzisstischen Mutter, die ihre Kinder größtenteils sich selbst überlassen haben. Jürgen als der älteste, versorgt seine jüngeren Geschwister so gut es möglich war.

Von seiner Mutter musste er immer wieder erfahren, wie nutzlos und dumm er sei. Schläge waren an der Tagesordnung, die ihre körperlichen und seelischen Spuren hinterlassen haben. Seine jüngeren Geschwister schützte er, indem er sich die Schläge des Vaters „abholte“.

 

In der Schule fiel Jürgen sehr früh schon als gewalttätig auf. Die Gewalt, die er zuhause erfahren musste, übertrug er in sein Leben. Als er 14 Jahre alt war, geriet in Streit mit einem gleichaltrigen Jungen, dessen Eltern als italienische Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Die Auseinandersetzung eskalierte. Jürgen trug blutende Kopfverletzungen davon, der andere Junge einige Prellungen.

Im Ergebnis wurde Jürgen von der Schule verwiesen, weil er über lange Zeit verhaltensauffällig war, das Jugendamt wurde eingeschaltet und er kam in ein Heim.

 

Dieses Erlebnis hat Jürgen nachhaltig geprägt. In ihm entstand der Glaubenssatz, dass Ausländer für seine Verletzungen verantwortlich seien. Zudem wurde ihm die Möglichkeit entzogen, für seine Geschwister zu sorgen. Das hat sein Leben nachhaltig beeinflusst. Sein Wesen veränderte sich immer mehr, er wurde noch aggressiver und uneinsichtiger.

 

Mehrfach entfloh der Heimobhut, ging nach Hause und erfuhr, dass auch seine jüngeren Geschwister inzwischen nicht mehr zuhause leben durften. Sie wurden in Pflegefamilien untergebracht.

 

Jürgen litt sehr darunter und er schwor, dass er sich rächen würde. Für ihnen waren die „Ausländer“ für seine Situation und die seiner Geschwister verantwortlich.

 

Mit 16 schloss Jürgen sich einer rechten Gruppe an und sah seine „Berufung“ darin, dass Ausländer in Deutschland nichts zu suchen haben und sie notfalls mit Gewalt vertrieben werden müssen.

 

Mit seinen Gesinnungsgenossen schmiedet er Pläne. In dieser Gruppe war er das erste Mal in seinem Leben respektiert und akzeptiert.

 

Immer wieder wurde er wegen Gewaltdelikten verhaftet, verbüßte Jugendstrafen. Dennoch blieb er bei seinem Weg und seiner Ideologie treu.

 

Eines Tages hat die Gruppe den Plan gefasst, so richtig zuzuschlagen. Ziel war ein Haus, in dem Flüchtlinge lebten. Sie bewaffneten sich mit Schlagwerkzeugen und zogen los. Normalerweise waren sie zu fünft, dieses Mal fehlte einer von ihnen.

Was sie nicht wussten, wir nennen ihn Andreas, dieser Junge hat sich an die Polizei gewandt. Schon länger wurde deutlich, dass Andreas sich aus dieser Gruppe befreien wollte. Er macht jetzt ernst. Der Polizei erklärt er, was die Gruppe plante, und so kam es, dass die 4 Jungs verhaftet wurden, bevor sie Unheil anrichten konnten.

 

Als Jürgen nach Verbüßen seiner Haftstrafe entlassen, wurde, Zu diesem Zeitpunkt war er 28 Jahre alt, kam er bei seiner Großmutter unter, die mittlerweile 79 Jahre alt war.

 

Einen Tag nach der Haftentlassung fuhr er spätabends, es war schon dunkel, mit seinem Fahrrad zu dem üblichen Treffpunkt der Gruppe. Plötzlich nahm ihm ein Auto die Vorfahrt und Jürgen wurde verletzt. Der Autofahrer flüchtete und ließ Jürgen verletzt liegen.

 

Er hat Glück im Unglück. Ein anderer Autofahrer hielt auf der wenig befahrenen Strecke an und versorgte Jürgen, rief den Krankenwagen. Aufgrund seiner Verletzungen musste er für 10 Tage im Krankenhaus bleiben. Außer seine Großmutter besuchte ihn niemand, er war allein mit sich und seinen Gedanken.

 

Am dritten Tage ging die Zimmertür auf, ein Mann betrat Jürgens Zimmer und begrüßte ihn. Wir nennen ihn Ahmed. Es war nicht zu überhören, dass dieser Mensch nicht deutscher Abstammung sein konnte.

Die dunkle Hautfarbe, die schwarzen Haare, ein Ausländer. Gleich wollte Jürgen ihn aus dem Zimmer vertreiben und war schon daran loszuschreien.

 

 

Aber Ahmed sprach ruhig mit Jürgen, erklärte ihm was geschehen war und er nach ihm schauen wollte, da er besorgt sei. Weiter erzählte er Jürgen, dass er froh und glücklich sei, genau zu dem Zeitpunkt an der Unfallstelle angekommen zu sein, als der Unfall sich ereignete.

 

 

Jürgen wurde ruhiger und entspannter. Ahmed entschuldigte sich bei Jürgen, dass sein deutsch nicht so gut sei. Erst vor zwei Jahren seien sie nach Deutschland gekommen, weil in ihrem Land schon länger Krieg herrsche und er seine Familie schützen wolle. Sein Wunsch sei es, in diesem schönen Land heimisch zu werden. Er habe in seinem Heimatland studiert, dürfe aber nicht in seinem Beruf arbeiten, dennoch habe er einen guten Job bekommen und könne seine Familie ernähren. Dabei hatte er Tränen in den Augen.

 

Er schaut Jürgen in die Augen und sagte ihm, dass es das schönste Geschenk für ihn gewesen sei, dass er Jürgen habe helfen können und überreichte ihm eine von seiner Frau selbst gebackene Köstlichkeit aus seinem Heimatland.

 

Jürgen spürte, dass dieser Mensch sich Sorgen macht. In Jürgens tiefem inneren veränderte sich etwas, er hatte ein Gefühl, das er noch niemals zuvor hatte. Jürgen weinte plötzlich.

 

Ahmed fragte Jürgen was los sei. Jürgen erzählt seine Geschichte, von Anfang bis zum Ende. Entgegen den Befürchtungen von Jürgen setzt sich Ahmed zu Jürgen, nahm in den Arm, tröstete ihn. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte Jürgen die Zuneigung eines Menschen.

 

Jürgen hat erkannt, wie falsch seine gesamte Lebenseinstellung war und bereute sein bisheriges Leben.

 

Auch hat er erkannt, dass sein Blick auf die Welt, entstanden durch bestimmte Lebenserfahrungen ihn zu einem Menschen gemacht haben, der nur noch Wut und Hass in sich spürte. Weder im Elternhaus noch in seinem weiteren Leben durfte er jemals Liebe und Zuneigung spüren.

 

Ihm wurde sehr bewusst, dass er als gewaltbereiter Mensch niemals Zuneigung von anderen erfahren konnte und er die reale Wahrnehmung durch völlig falsche Interpretationen verzerrt und gefälscht hat.

 

Auch wurde ihm klar, dass niemand, ganz gleich woher die Menschen kommen, generell schlechte Menschen sind.

 

Niemals dürfen Menschen danach beurteilt werden, in welchem Land sie geboren wurden, welcher Religion zu angehören oder welche Lebenserfahrungen sie gemacht haben.

 

Jürgen hat inzwischen erkannt, dass auch sein Leben sehr kurz ist und letztendlich der Tod die letzte Tür seines Lebens sein wird.

 

Es gibt für ihn nichts Wichtigeres als gute zwischenmenschliche Beziehungen, mit Toleranz und Respekt. Moralischen Grundsätzen fühlt er sich verpflichtet und engagiert sich inzwischen für Menschen aus anderen Ländern ehrenamtlich.

 

Jürgen hat zwei Jahre, nach dem Unfall, die Cousine von Ahmed geheiratet, sie haben zwei Kinder und leben in ihrem eigenen Haus, nur drei Straßen von Ahmed entfernt.

 

 

Er sagte abschließend:

 

„Ich habe nie darüber nachgedacht, dass ich mich verändern muss. Immer waren die anderen zuerst am Zug. Mit Gewalt wollte ich andere Menschen anders machen, als sie es sein können. Und ich wollte so bleiben wie ich bin. Das waren die größten Fehler meines Lebens. Erst dann, wenn wir selbst dazu bereit sind uns zum Guten zu verändern, können wir auch gute zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen und erhalten. Heute weiß ich, dass wir alle Menschen sind, die aufeinander aufpassen müssen und das Wichtigste ist, dass wir andere Menschen wertschätzen, ganz gleich woher sie kommen. Sie haben alle Glück und Gesundheit verdient. Hätte ich das nur früher gelernt.“